Humor und paradoxe Interventionen

 

 

Zwei wichtige Zutaten in der Psychotherapie sind - ganz im Ernst  - der Humor und das Paradoxe.

 

Wer über sich selbst lachen kann, hat schon halb gewonnen.

 

In manchen Märchen, Gedichten, Geschichten und Filmen und Weisheits- Büchern ist der Humor eine geheimnisvolle Kraft. Man denke an die Gleichnisse von Jesus, an die Geschichten aus dem Leben des Buddha und der Heiligen, oder die lustigen Anekdoten von Mullah Nasruddin.

 

Es scheint, sogar Gott hat Humor. Nur solche, die sich für göttlicher als Gott halten, haben manchmal keinen.

 

Das ist paradox... Bitte lesen Sie hier nicht weiter. Es stimmt einfach nicht, was hier steht. Und was ab jetzt kommt, verstehen Sie auch nicht.

 

Natürlich lesen Sie jetzt weiter. Und erst recht.

 

Die paradoxe Intervention fordert das Gegenteil heraus. Der Helfer sagt etwas "Falsches", sogar etwas "Verrücktes". Der Klient widerspricht. Besonders wenn er einer ist, der immer sofort widerspricht, so wie Sie. Nicht? Schon wieder widersprochen.

 

Macht nichts. Paradoxe Interventionen nutzen ja den Widerspruch konstruktiv. Wenn der Ratgeber etwas völlig Verkehrtes sagt, widerspricht der Klient und sagt dabei aus Versehen selbst das, was hilft.

 

Manche Therapie wirkt so, zumindest bei manchen, aber nie bei Ihnen. Ihre Widerspruchsneigung ist unbezwingbar.

 

Eine paradoxe Frage ist: "Was können Sie tun, damit Ihr Symptom schlimmer wird?"

 

Es gibt unfreiwillige paradoxe Interventionen: Jemand wurde wegen eines Gefühlsausbruchs in eine Klinik verfrachtet. Dort sah er einiges... und wollte gleich wieder weg. Von da an ging es ihm besser...

 

Ein heilsames Erschrecken macht uns manchmal bereit für die Suche nach einer Lösung.

 

Ob Sie für so was schon viel zu alt sind? Oder noch zu jung?

 

Wir alle wenden bewußt oder unbewußt paradoxes Reden an. Hast Du einmal zu jemand gesagt "Ja ja..."- und was hast Du dabei gemeint?

 

Wenn ein Therapeut eine Therapie abbricht oder eine längere Pause empfiehlt, dann ist das auch manchmal eine paradoxe Intervention. Es schickt Sie zu Ihrer Verantwortung zurück, aus der Kind-Rolle in das Erwachsensein. Manchmal sind dadurch Wunder geschehen.

 

Die paradoxe Intervention führt zum Ernst der Sache. Der  "Ist-Zustand" wird als Karrikatur durch einen prägnanten Satz drastisch deutlich gemacht.

 

Ein Beispiel aus meiner Muttersohn- Abteilung:
"Sag mal zu Deiner Mama: Ich bin der bessere Mann für dich!"
Kann er dann so weitermachen wie bisher?

 

Eine weitere, sehr hilfreiche paradoxe Technik ist, an den Tod zu denken.

 

Und hier ist eine Hausaufgabe. Sie ist auch ein bißchen paradox. Denn Sie müssen etwas machen, was Sie noch nie gemacht haben.
Nehmen Sie ein Blatt Papier und bunte Stifte und zeichnen Sie Strichmännchen: Eins für sich selbst, und andere dazu für Personen aus Ihrer Familie oder Ihrer Arbeit. Die Männchen sollen verschieden groß sein, in verschiedenen Farben, so verteilt daß man sieht wer wie zu wem in Verbindung ist. Sie können auch Gegenstände oder Symbole dazu zeichnen, die für Sie etwas bedeuten.
Während Sie zeichnen, und die 3 Tage danach, beobachten Sie die Wirkung. Machen Sie das gleiche wieder alle 3 Monate, also 4 mal im Jahr. Und dabei werden Sie eine Veränderung bemerken.

Bitte bringen Sie diese Zeichnung zur nächsten Therapiestunde mit.

 

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Die Stimme

Psychotherapeuten hören manchmal Stimmen. Manchmal sogar kombiniert mit Glockentönen. Vor kurzem ist es mir wieder passiert. Seltsam ist, es passiert immer am Montag (so wie mein Name ist), etwas vor 11 Uhr vormittags. Das muss also mit mir zu tun haben.

Ein Patient saß mir gegenüber in meiner Praxis, der auch Stimmen hörte. Ich besprach mit ihm die Strategien, die er einsetzen sollte, falls dies wieder vorkam. Er hörte mir aufmerksam zu. Dann erzählte er mir noch etwas, etwas ganz Ernstes, was er noch nie jemandem erzählt hatte. Ich hörte ihm aufmerksam zu.

Dann geschah es. Da kam diese Stimme. Ich hörte sie ganz deutlich, nach einem Glockenton. Normalerweise hört man ja die Stimmen innerlich in seinem Kopf. Ich aber hörte sie als von außen kommend. Es war eine männliche Stimme, sie rief nur 3 Worte. Ich verstand sie nicht.

Zuerst versuchte ich, unbewegt mit meiner Arbeit weiter­zumachen. Aber es gelang mir nicht wirklich, ich tat nur so. Die Stimme wirkte in meinem Kopf weiter. Nun war es wirklich so, wie es in den Lehrbüchern steht. Die Stimme war in meinem Kopf.

Bei unserem Gespräch in meiner Praxis ging es um ernste Dinge. Im Gegensatz dazu klang die Stimme froh und heiter. Da fiel mir ein, was ich gelesen hatte, nämlich: Zu jenem schweren Krankheitsbild, mit dem man diese Stimmen verbindet, gehört auch der „inadäquate Affekt“, das heißt, ein nicht angemessenes Gefühl. Uns da drinnen ging es schlecht, und da draußen diese unpassende Fröhlichkeit. Ja, hier war es so.

Und wieder hörte ich die Stimme, verbunden mit dem Klingeln. Wieder verstand ich die 3 Worte nicht. Es gelang mir nicht, sie zu ignorieren. Ich beobachtete meinen Patienten. Hörte er diese Stimme auch, neben all den anderen Stimmen, die er hörte? Ich sah ein Verwundern in seinem Gesichtsausdruck. Warum schaute er mich so verwundert an? Hatte das mit mir zu tun? Das wäre auch eins der Symptome der besagten schweren Krankheit: Man meint, alles hat mit einem selbst zu tun. Das Fremdwort dafür ist „der sensitive Beziehungswahn“. Ja, das hatte ich. In diesem Fall, so musste ich schlussfolgern, wies die Verwunderung meines Patienten genau auf die Tatsache hin, die ich verdrängte.

Was auch immer ich sonst dachte da in jener Stunde – das, was mir da geschah, zog mir die Gedanken aus dem Kopf. Dafür kamen andere Gedanken. „Gedankenentzug und Gedanken­eingebung“ sind ebenfalls Symptome. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren („fixe Idee“), meinen Patienten zu fragen, ob er denn nicht auch die Stimme höre.

Er bestätigte, er höre sie. Zuerst war ich erleichtert. War ich also nicht verrückt? Dann fiel mir ein: „folie a dieux“, der „Wahn zu zweit“, ist auch ein mögliches Symptom des „Spaltungs­irreseins“, wie Schizophrenie auf deutsch genannt wird, bei Menschen, die sich nahestehen. Ich stellte mit Erstaunen fest, wie nahe mein Patient mir stand. Das war‘s.

Und wieder klang die Stimme in mein Ohr, und auch in des Patienten Ohr, und auch in meinen Bauch hinein (in seinen auch? Ich wagte nicht zu fragen). Ich merkte dass ich mich nach der Stimme schon gesehnt hatte. Und nun verstand ich die 3 Worte: „Kartoffeln und Zwiebeln!“. Auf einmal bekam ich Appetit. Ich liebte Kartoffeln und Zwiebeln. Besonders als Bratkartoffeln mit Röstzwiebeln. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. (sind das „Leib­hallu­zi­na­tio­nen“?)

Auf einmal störte mich die Stimme nicht mehr. Das Leben ist manchmal gar zu ernst. Besonders ich bin manchmal viel zu ernst, noch ernster als das Leben. Die Stimme brachte mich auf andere Gedanken. Es war mir auf einmal egal, ob ich spinne (und der Patient mit mir) oder nicht. Ich fand, die Stimme klang recht nett, die Glocke auch, und das, was diese Stimme sagte, war etwas wie eine „Prozeßinstruktion“ für mich. (Das ist ein Ausdruck des bekannten Hypnotherapeuten Milton Erickson, er meint damit „eine Arbeitsanregung für die Seele“.)

Das gleiche geschah anscheinend bei meinem Patienten auch, und auf einmal sprachen wir über Kartoffeln und Zwiebeln. (Wenn man sein Symptom genießt, heißt das „sekundärer Krankheitsgewinn“, diese Erscheinung ist nicht auf die Schizophrenie beschränkt.) Mein Patient und ich entdeckten die Gemeinsamkeit: Wir beide liebten diese Speise.

Die Stimme, und die Glocke, und die Kartoffeln und Zwiebeln gehörten einem Bauern, der regelmäßig durch die Straßen unseres Städtchens fährt, und die Früchte seiner Arbeit verkauft. Er wirkt dabei sehr glücklich, und er regt mich an, bei der Planung meines Ruhestandes über eine mögliche Zukunft als Bio-Bauer oder zumindest als Selbstversorger nachzudenken.

Die Stimme kommt jeden Montag kurz vor 11 Uhr, und sie hat schon manchen Patienten, der in irgendwelchen weltfremden Verirrungen schwebte, wieder zurück auf die Oberfläche unseres wunderschönen Planeten, die Erde, gebracht, wo Kartoffeln und Zwiebeln wachsen.

Übrigens: So vieles, was auf unserer Erde im Licht der Sonne wächst, wie auch Kartoffeln und Zwiebeln, ist Teil einer reichhaltigen und gesunden Ernährung. Je mehr wir so etwas essen, lassen wir den Tieren ihren Frieden. Pflanzliche Ernährung ist hilfreich, gerade bei Menschen mit Wut und Aggressionen.

Der Bauer mit seinen Kartoffeln und Zwiebeln hilft also manchen Leuten vielleicht mehr als ich mit meiner Psychotherapie.

In seiner Stimme klingt das Glück, das im Genießen der eigenen Arbeit liegt. Auch ich werde erinnert, dass es schön ist, mit eigener Arbeit mein Brot, meine Kartoffeln und meine Zwiebeln zu verdienen zu können.

Wenn Sie wollen, machen Sie mal montags um 10 Uhr einen Termin bei mir aus. Vielleicht ist für manches Ihrer seelischen Leiden, gegen das bisher scheinbar noch kein Kraut gewachsen ist, gerade diese neuartige Therapieform gewachsen: „Kartoffeln und Zwiebeln!“